Samstag, 7. Juli 2012

Mal wieder eine Geschichte


Aline
Aline war allein. Und das war auch gut so. Denn Aline wollte sich niemandem unterordnen, wollte für keinen die Verantwortung übernehmen und wollte sich ganz einfach nirgends anpassen müssen. Das musste sie auch Björn sagen. Klare Sache von Anfang an. Das war nichts als fair, dachte Aline. Die Männer wollen ja doch früher oder später alle das Eine und daher war es besser, sich früh genug abzusichern. Denn ihr Nachbar Björn war wirklich nett und Aline war gerne mit ihm zusammen. Seit ein paar Tagen war das schon so und Aline machte sich darüber ihre Gedanken. Es schien ihr doch ziemlich naheliegend, dass sich Björn zu ihr hingezogen fühlen musste, wenn er freiwillig so viel Zeit mit ihr verbrachte. Darum verhielt sie sich auch immer mehr und öfter kratzbürstig, distanziert, kühl, überlegen und was ihr sonst noch so einfiel, was Männer nicht mögen. Auf Björn schien es jedoch keinen Eindruck zu machen. Er lächelte sie jedes Mal auf seine freundlich-geduldig-und-alles-verstehende Art an. Und das Beängstigendste am Ganzen: Irgendwo in ihrem Innersten machte es eines Tages ganz leise ‚Knack‘ und sie fühlte, dass etwas zu schmelzen begann.
Darum jetzt oder nie: „Ich bin gerne allein, Björn. Bei mir brauchst du dir gar keine Chancen auszurechnen.“
„Tu ich das?“ Und wieder dieses Unschuldslächeln!
„Ich wollte es nur gesagt haben, für den Fall dass.“
„Ah, ok, für diesen Fall werde ich es mir merken.“
Nichts. Keine Fragen, keine Diskussion, keine Unruhe, Enttäuschung, Nervosität, nicht einmal ein süffisantes Lächeln. Das Schmelzen in ihrem Innern erstarrte zu dem gewohnten zähflüssigen kalten Brei, den sie so gut kannte. Sie hatte es ja gewusst. Männer. 

Von diesem Tag an war Aline einfach Kumpel. Björn auch. Sie gingen zusammen rudern, machten Wanderungen, spielten Bowling, verbrachten ganze Abende an ihrem oder an seinem Küchentisch, lachten, diskutierten über Politik, Psychologie, ihren Alltag oder ihre Vorstellungen vom Leben. Und als Björn eines Abends von einer neuen Arbeitskollegin erzählte, die er sehr nett fand, hörte Aline es wieder. Knack. Aber diesmal wurde aus dem Brei ein Eisklotz. 

Björn hatte keine Ahnung, warum Aline plötzlich keine Zeit mehr hatte. Entweder war das Wetter nicht gut genug, oder sie hatte zu viel Arbeit oder Kopfschmerzen oder bereits etwas anderes vor. Nur ganz selten konnte sie nichts vorschieben, wenn er gerade zur Stelle war, wenn sie nach Hause kam. Und schliesslich sah er sie nur noch, wenn die Sonne ihr allerschönstes Lächeln hervorbrachte und Aline draussen auf dem Balkon ihre Beine ausstreckte. Dann sah er ihr vom oberen Balkon aus zu und fragte sich, was er wohl falsch gemacht haben könnte. Aber er war schlau genug, sich selbst zu fragen. Und er fragte sich gut und akribisch genau. In der Erinnerung ging er die letzten paar Tage mit ihr durch, verfing sich im letzten Gespräch und drehte und wendete jeden Satz, den er gesagt hatte. Und auf einmal war ihm alles klar. Das war es! Sie war eifersüchtig! Dabei war jene Mitarbeiterin so hohl wie hübsch und so nervig wie nett. Er war nie mehr dazu gekommen, Aline von dieser Erkenntnis zu berichten, die er schon am darauffolgenden Tag machen musste. Das war des Rätsels Lösung! Doch wie weiter?

Als Aline unter ihrer Tür eine weisse Ecke von einem Umschlag durchblitzen sah, klopfte ihr Herz urplötzlich bis zum Hals. Das hörte auch nicht auf, als sie las: „Liebe Nachbarin. Mein Küchentisch verzehrt sich nach deiner Anwesenheit. Meine Katze will nicht mehr fressen. Meine Wanderschuhe setzen Grünspan an und mein Terminkalender gähnt vor Langeweile. Aber ich sage ihnen immer wieder, dass du gerne allein bist und uns alle nicht brauchst. Sie wollen es mir nicht glauben. Was soll ich nur tun? Björn.“
Knack! Diesmal war es nicht zu überhören und weder aufzuhalten noch kalt zu kriegen. Aline schmolz. Sie sass in ihrer Küche, mit dem Brief in der Hand und floss förmlich davon. Sie hörte weder das Klopfen an der Tür noch das Knarren der Dielen, spürte nur noch die warme Hand auf ihrer Schulter, die Finger, die ihr sanft die Haare aus dem nassen Gesicht strichen, den Kuss auf ihren Lippen, die Arme, die sie ins Schlafzimmer trugen und Björn, den sie nie mehr loslassen wollte.

2 Kommentare:

  1. Oh Dodo! Das ist so wunderschön erzählt! Da schmelze ich dahin! Sowas mag ich! Klasse. Danke dir! Das inspiriert mich frisch und fröhlich in den Tag zu starten.

    Alles Liebe dir
    Laura

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  2. Danke Laura! Dein Lob freut mich!
    Herzlich
    Dodo

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