Reisetagebuch


hello, we're back
Nach vier Nächten in gefederten, aber in sich harten und vor allem schmalen Betten und anschliessendem knappst-continental breakfast, dafür mit einem Wasserkocher zur Teezubereitung im Zimmer und einer Dusche im Wandschrank sind wir also zurück in der Heimat - die man ja bekanntlich nie so sehr schätzt, wie wenn man eine Weile weg war.
Aber eins nach dem andern:
Montag, 5. Oktober 2009: Bahnfahrt bis Zürich - früh genug, weil man ja nie weiss, und vor allem, weil ich vorher noch nie per Internet gebucht hatte und nur eine lausige Nummer in Händen hielt, die mir Flugtickets sowie Hotelbuchung garantieren sollte -  und danach - weil alles erstaunlich gut und schnell klappte - langes Warten auf den Flug.
Swiss - immer noch guter Service -  und kaum oben, ging's auch schon wieder runter. Landed in Heathrow.
"Achtung", sagte ich zu meiner noch reiseunerfahrenen Tochter, "hier musst du links durch die Türen gehen. Ich bin damals fast in eine Schiebetür reingeknallt."
Aber denkste: Beide Türen gingen auf und die Schilder verwiesen auf - rechts!
"Aha", sagte meine Tochter.
Meine Kusine, die in London arbeitet, hatte mir geraten, an die travel information am Flughafen zu gehen, um mich über die günstigsten Fahrausweise für die Woche zu informieren. Wir fanden auch sowas in der Art und die Frau am Schalter verkaufte uns ein schweineteures Retour-Ticket zur Paddington Station, wo wir beim underground Schalter weiterfragen sollten. Der Transfer war sehr angenehm und bereits 15 Minuten später stärkten wir uns am Fundort des berühmten kleinen Bären aus dem Kinderbuch mit chocolate chip cookies bzw. einem Muffin und einem Kaffee - der war wirklich gut, Rolf! - , bevor wir merkten, wie günstig eine Woche U-Bahn fahren für Mutter und noch nicht 16-jährige Tochter ist, und dass in diesem Preis auch die - allerdings dann dreiviertelstündige - Fahrt vom und zum Flughafen inbegriffen gewesen wäre.
Well, nachdem wir die eine Station mit der underground locker bewältigt hatten, fanden wir auch das Hotel zu Fuss dank meiner virtuellen Vorbereitung durch Google ohne Schwierigkeiten, obwohl dort alles irgendwie gleich aussah.
 Wie versprochen rief ich auch gleich meine Kusine an, und wir verabredeten uns bei unserer.

 








Gemeinsam fuhren wir dann nach 

und gingen von da aus gleich ins











, wo man bekanntlich alles kaufen kann - falls nicht vorrätig, wird's bestellt und geliefert, und wenn's ein Elefant mit zwei Rüsseln ist. Da wir aber auch im Harrod's kein Schweizer Fondue fanden, übergaben wir eben dasjenige, das wir mitgebracht hatten, und meine nach vierzig Jahren England immer noch perfekt berndeutsch sprechende Kusine freute sich sehr!

Am nächsten Tag - genauer gesagt nach einer grauenvoll durchwälzten Nacht - Dienstag, machte ich die ehrenwerte Bekanntschaft mit













und anderen netten Herren, während meine Tochter nach einem erfolglosen Job auf höchster Ebene - kenne ich das nicht von irgendwoher? -
sich doch lieber wieder dem Gesang zuwandte.

Alles klar? Natürlich: Madame Tusseaud's Wachsfigurenkabinett.  Auch diese Attraktion gehörte einfach auf die To Do List, obwohl auch teuer und leider nicht mehr so intim und kuschelig, wie früher, als ich es noch als Kind erlebte.
Viel besser hat mir da dieses kleine Museum gefallen:
, wo es auch, aber nicht nur Figuren aus Wachs hatte. Dr. Watson und Mrs D.Holmes hier sind zum Beispiel beide aus Fleisch und Blut
und auch abgestaubt wird hier wie anno dazumal ... oder doch nicht ganz? ...


Nach so vielen Museen waren wir froh, dass auch die Tochter meiner Kusine sich für uns Zeit nehmen wollte. Als meine Tochter aber schockiert feststellte, dass sich deren Englsich mit ihren Schulkenntnissen gar nicht vergleichen liess, wechselte sie plötzlich ebenfalls ins Berndeutsche, bedächtig, sorgsam, sich für ihre Fehler entschuldigend, aber dafür, dass sie gänzlich in London aufgewachsen war erstaunlich wortreich. "Muttersprache" halt!
Sie führte uns in ein Geschäft, wo wir für das Geld für einen Viertel Pullover von Harrod's gleich zwei Taschen mit Kleidern füllten. Nach einem kurzen Ausflug durch die

wo wegen des 60-Jahre-Jubiläums alles rot geschmückt war, verabschiedeten wir uns vorläufig, um noch die London by Night-Rundfahrt zu machen.
Die zweistündige Fahrt lohnte sich in jeder Hinsicht. Nicht nur waren die Informationen  - obwohl auf englisch - sehr interessant, sondern auch die nächtliche Ansicht war um einiges schöner, als sich uns die Stadt in den nächsten zwei Tagen bei Nieselregen präsentieren sollte. Und wir gewannen eine vage Übersicht, was sich wo ungefähr befindet. Da wir die zuletzt zugestiegenen Fahrgäste waren, wurde der doppelstöckige Bus sozusagen zum Privattaxi bis zu unserer nächsten U-Bahnstation. Nach diesem ereignisreichen und anstrengenden Tag waren die kleinen Betten plötzlich kein Problem mehr...
Mittwoch :
Nachdem wir uns am Abend zuvor einen Überblick verschafft hatten, gelangten wir zielstrebig zur Westminster Station. Meine Tochter hatte längst die Führung übernommen und wusste immer genau, wo umsteigen.

Über die Westminster Bridge  gelangten wir zu diesem riesigen Konstrukt, dessen Besuch unser eigentliches Ziel war.













Und es lohnte sich!


Die Aussicht vom London Eye ist wirklich überwältigend. Auch seine ganz spezielle Technik überzeugt.
Nach einer guten halben Stunde ruhiger Fahrt hoch über die Dächer von London und zurück, war auch die Richtung klar, in die wir gehen wollten. Das Ziel hiess Hyde Park und dann direkt ins Hotel. Keine Lust mehr auf Shopping und U-Bahn, einfach nur mal wieder etwas Ruhe.
Der Nase nach gelangten wir auf die Mall, die Allee vor dem Buckingham Palace, und von da in den St.James Park. "You've got a camera? Then you need nuts", klärte uns ein netter alter Engländer auf, als wir verzweifelt versuchten, die grauen Hörnchen lange genug für ein Foto anzulocken. Er schenkte uns welche und siehe da: 
Später erklärte uns meine Kusine, dass diese grauen Hörnchen gar nicht beliebt seien, weil sie die roten vertrieben hätten. Sie seien eine eigentliche Plage. Die Parkbesucher kümmerte dies jedoch nicht und ehe wir's uns versahen, waren wir auch schon beim Buckingham Palce. Es regnete. Aber wir hatten ja einen Knirps gekauft und den spannten wir nun stolz auf. Trotzdem beschlossen wir in Anbetracht der zunehmenden Feuchtigkeit, die Stallungen der Queen zu besichtigen. Es war nicht wirklich viel Action, aber doch sehr eindrücklich. Nicht nur die Kutschen waren sehenswert 
  , sondern die ganze Infrastruktur, wie solche Kostbarkeiten mit Stolz und Liebe gepflegt werden und bis in die heutige Zeit hinein in Einsatz kommen. Wie kommt ein solches Ungetüm von tonnenschwerer Kutsche
  überhaupt aus dem engen Raum hinaus? Die Antwort auf diese vom Führer im Ohr gestellten Frage müsst ihr euch vor Ort mal auf der Zunge zergehen lassen. Beeindruckend auch, dass selbst ich als Pferde-Allergikerin nicht einmal niesen musste, und das, obwohl ich durch Pferdeställe ging! Britische Gründlichkeit lässt grüssen
In dem Zusammenhang möchte ich auch unsere Verblüffung über die allseits herrschende Sauberkeit erwähnen, dies obwohl die U-Bahn-Stationen vom Alter gezeichnet sind, überall auf chaotische Art gebaut und erneuert wird und kaum irgendwo Abfalleimer zu finden sind: Die Strassen und Unterführungen sind abfallfrei!!! Ebenso die Parks, von denen wir noch zwei vor uns hatten: Hyde Park und Kensington Gardens. Ersterer gefiel uns sehr gut. Überall kleine Beete und Abteilungen, die alle wieder anders aussahen, liebevoll gepflegt und verspielt und auch der See war trotz Regen wunderschön anzusehen.



 Über die befahrene Brücke in der Mitte gelangten wir in den andern Teil, wo jedoch nur noch gerade Wege sich wie ein Netz überkreuzten und ausser Bäumen, trockenem Gras mit grauen Hörnchen und ein paar Denkmälern sowie Hunden mit ihren Haltern nicht mehr viel zu sehen war. Müde kamen wir am richtigen Ausgang an, schlurften in unser Viertel und fielen nach einem leckeren italienischen Essen müde ins Bett. Dass wir einen Musical-Besuch aus finanziellen Gründen aus dem Programm gestrichen hatten, bereute keine von uns mehr. Wir schliefen gut zehn Stunden.
Am Donnerstag mussten wir "früh" aufstehen, denn wir waren verabredet. Nach dem üblichen Minimalfrühstück - Toast, Butter, Konfitüre, Saft und Kaffee - waren wir pünktlich in der U-Bahn und mit nur 5 Minuten Verspätung in Camdon Town. Die Tochter meiner Kusine erwartete uns. Sie hatte uns eine Shoppingtour der etwas anderen Art versprochen.
Wir sahen uns in einer etwas heruntergekommenen Strasse mit Punk- , Billigsouvenir- ,Poprock- und andern Geschäften und gingen daran entlang, bis es keine Geschäfte mehr hatte. Unsere Verwandte führte uns jedoch weiter, nach rechts in eine Budenstadt wie auf einem Weihnachtsmarkt. Die meisten waren jedoch noch geschlossen und sie entschuldigte sich. Sie komme normalerweise nicht um diese Zeit her. Uns war es jedoch gerade recht, dass wir den Platz noch für uns hatten um uns erst mal zu orientieren. Schliesslich war es auch für uns noch früh, obwohl wir zu Hause ja bereits eine Stunde später hätten. Trotzdem ist elf Uhr in den Ferien ja noch keine Zeit. Als wir glaubten, nun alles gesehen zu haben, überquerten wir die Strasse und traten durch ein Tor in einen alten Backsteinbau mit grossem Vorhof ein. Je weiter wir in die Gänge dieses Gebäudekomplexes eindrangen, desto grösser wurde unser Staunen: Wir waren in einem Irrgarten von kleinsten Geschäften, im alten Pferdeviertel, wo vor hundert Jahren Kutscher, Schmiede und Sattler arbeiteten: The Stables! 
 
Mit jedem Durchgang, den wir aufgrund der vielen Verzweigungen machten, waren wieder mehr Geschäfte geöffnet, Schnellimbisse aus aller Herren Länder, türkische, griechische, thailändische, indische, afrikanische, chinesische Geschirr-, Stoff-, Schmuck und Kleiderläden, dazu Antiquitäten- und Secondhandshops, Grusel-, Punk-, Army- und was weiss ich noch alles... ein buntes Durcheinander. Nach einer Mittagspause auf einem sonnigen Plätzchen oberhalb der  ganzen Arkaden und einem Durchgang durch weitere Handwerkermärkte verliess uns schliesslich die Kukusinemeiner tochter, weil sie zur Arbeit musste. Wir wühlten uns im inzwischen recht vollgestopften Markt langsam zurück, zu den kleinen Buden auf der andern Strassenseite, die ebenfalls nun alle offen waren und mit ein paar Einkäufen mehr in der Tasche un der Erkenntnis, am Ende der Welt angelangt zu sein

, kamen wir wieder zu U-Bahnstation. Die Northern Line ist drei Stockwerke tiefer gelegen als die andern Linien und so versanken wir wieder über unzählige Stufen und Rolltreppen in den Untergrund.
Da es der zweitletzte Tag war, wollten wir doch noch die Tower Bridge von nahem betrachten. Meine Tochter eruierte innert Sekunden die beste Verbindung und wir stiessen schon nach kurzer Zeit direkt neben dem Tower of London
wieder ans Tageslicht. Ein paar Schritte nur um das gewaltige Bauwerk herum (was ist das schon nach dem Hyde-Park-Spaziergang), und wir sahen sie: 
Nein, die Tower Bridge natürlich. Aber dass es hier schwarze Schwäne gibt, lernten wir, weil wir es uns als letzten Luxus noch leisteten, dieses berühmte Bauwerk gegen Eintritt noch etwas genauer zu erkunden. Spannend war es nicht gerade, dafür lehrreich.

Eine Reise zurück in die Zeit, als sich die berühmtesten Architekten um die Frage stritten, wie man eine Brücke quer durch den wichtigen Hafen der Stadt bauen könne, ohne die grossen Schiffe dabei auszuperren. Das Resultat funktioniert seit seiner Erbauung einwandfrei!

Wiederum direkt quer unter der ganzen Stadt hindurch fuhren wir noch einmal zu einem Treffen mit meiner Kusine zum Abendessen, diesmal in einem noch besseren italiensichen Restaurant, welches dank einem der vielen "vouchers", die meine Kusine als geübte Londonerin stets aus dem Internet herunterlädt, richtig erschwinglich war. Den Heimweg fanden wir inzwischen fast blind.
Was gibt es über den letzten Tag noch zu berichten? Wir waren müde. Das Einzige, was wir noch wollten, war, die letzten dreissig Pfund noch sinnvoll einzusetzen. Also nochmal in den Primeark-Laden an der Oxford Street, wo sich die leute die Waren aus den Fingern reissen, die Schlange zur Umkleidekabine nicht abreissen will und hunderte von zumeist schwarzen Angestellten ihren Tag damit verbringen, Waren von den Wühltsichen oder den Umkeideräumen wieder richtig einzusortieren. Da die Limite nicht einzuhalten war, bezahlte ich mit Karte und wir steuerten wieder unser Quartier an, wo wir uns stattdessen in einem Pub auf ein traditionelles Fish'n'Chips niederlassen wollten. Die nette Bedienung jedoch fragte nach dem Alter meiner Tochter und verwies uns an ein anderes Pub, das die family licence besass, also auch Minderjährige bedienen durfte. Wieder was gelernt, und der Burger, den wir uns bestellten, sowie das Dessert, eine Kombination aus dunkler und weisser Schokolade, schmeckten hervorragend.
Viel zu früh holten wir unser Gepäck aus dem Hotel, nahmen zum letzten Mal die underground Richtung Paddington Station, gaben wie zu Beginn angewiesen die Karte ab, auf der ein Depot war, nahmen von diesem genialen U-Bahn-Netz Abschied

    und stiegen wieder in diesen sauteuren Expresszug, um noch viel früher als zu früh wieder am Flughafen zu sein. Sechs Pfund und vier Stunden bis Abflug! Dachten wir. Die Getränke kauften wir zu früh, mit dem Ergebnis, dass wir sie schnell austrinken mussten, um durch die Kontrollen zu kommen, weil es dahinter endlich Stühle hatte zum Warten sowie natürlich jede Menge Gelegeheit, Getränke zu kaufen. nach den vier Stunden hiess es am Bildschirm immer noch "please wait", und mit fast einer Stunde Verspätung sassen wir endlich im Warteraum, bereit zum Einsteigen. Und da sahen wir zum ersten Mal eine Berühmtheit, die nicht in Wachs war: Schlicht, still und leise durchquerte, von zwei Begleitern diskret behütet, unser René Baumann alias DJ Bobo! Wenn ihr aber glaubt, die ganze Gesellschaft hätte sich jetzt  wegen eines Autogramms auf ihn gestürzt, irrt ihr. Ein kleiner Junge  wagte es, danach noch zwei etwas grössere, nachher war Schluss. Der Star winkte ruhig aber entschieden ab und wandte sich seiner Zeitschrift zu. Einer von vielen, Fluggast Nummer XY, zwei Meter von uns entfernt, erste Klasse im Flugzeug, aber im gleichen Bus in Zürich zur Empfangshalle - ruhig, diskret, und weg.
Ich meldete zu Hause unsere Ankunft und wir suchten den nächsten Zug. Mittlerweile war es elf Uhr nachts, die Verspätung war durch schnelleres Fliegen zur Hälfte aufgeholt, dafür wurde sie mit dem Zug wieder grösser, der einen langsameren vor sich hatte! Alle weiteren Verbindungen warteten und so kamen wir um zwanzig vor zwei in der Früh müde aber glücklich zu Hause an. "My home is my castle" würde der Engländer sagen. We're back!

Dresden 1. Tag

Eigentlich begann es ja schon bei uns am Bahnhof, als der Angestellte am Schalter nur mit Mühe die gewünschten Euros zum Wechseln zusammenkratzen konnte. Wir hätten es als Omen nehmen können, doch da es ja doch noch klappte, entging uns der Hinweis. Und bis Basel war die Zugfahrt auch ganz gemütlich. Dann aber fanden wir unsere reservierte Viererkabine im Schlafwagen nicht auf Anhieb, weil der Wagen von einer Schulklasse verstopft war und alle Abteile für sechs Liegen eingerichtet war. Nun unsere nicht, aber das sahen wir erst, als uns der sächsische Schaffner kopfschüttelnd und ziemlich schroff eingewiesen hatte. Doch das alles war vom Ärger erst der Anfang. Die jungen Leute verwechselten nicht nur den Schlafwagen mit einem Ferienheim oder dem Schulhof, sondern auch die Nacht mit dem Tag und Anstand und Rücksicht mit ausgelassener Fröhlichkeit. So sehr wir ihnen die Aufregung einer Studienreise nach Dresden gönnen mochten - sie gönnten uns knapp drei Stunden Schlaf und das war selbst für unsere Nerven zu viel oder vielmehr zu wenig. Vom Schaffner ganz zu schweigen!
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Als wir also erschöpft und übermüdet in Dresden ankamen, lechtzten wir nach einem Kaffee. Wir fanden ihn, zusammen mit einem Frühstück à discrétion in überraschend gewohntem Rahmen direkt im Bahnhofsgebäude: In einer Filiale der Schweizer Marché-Kette, vor welcher eine rote Schweizer Kuh stand.
Frisch gestärkt und mit der hinter uns liegenden Nacht versöhnt schafften wir nun auch noch die letzten hundert Meter bis zum Hotel hinter dem Bahnhof, wo wir bis zum Einchecken die Koffer stehen lassen konnten.
Danach nahmen wir ein erstes Mal den Weg durch die Prager Strasse …
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… und die historische Altstadt bis hin zur Elbe unter die Füsse. Was für Rolf ein stetes Vergleichen mit ehemals bekanntem Zustand der Stadt war, geriet für mich zu einem doppelten Stadtbild; dem aktuellen, wie ich es sah, und dem damaligen, wie er es mir beschrieb. Diese beiden Bilder schob ich in meinem Kopf ständig übereinander. Doch es sollte noch verwirrender und interessanter zugleich werden. Davon jedoch im zweiten Bericht.
Hübsch zurechtgemachte Häuserzeilen wechselten sich mit klaffenden Lücken und Baustellen ab, dazwischen erhoben sich barocke Türme und Zinnen mit goldenen, schwarzen und deutlich neuen sandsteinenen Figuren darauf.
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Und dazwischen erblickten wir plötzlich Werbung für “das” Souvenir aus Dresden! Was mussten wir lachen!!!
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Auf der Elbe lagen erstaunlich viele Dampfschiffe in erstaunlich wenig Wasser. Dennoch zogen sie die Schlote ein, bzw. klappten sie nach hinten, wenn sie unter einer der steinernen Brücken hindurchstapften. Rolf wollte sich kundig machen, was am Mittwoch für Rundfahrten möglich waren, da er für Dienstag einen Marathon an Besichtigungen organisiert hatte, doch wir entschieden uns spontan, bereits am Nachmittag eine Fahrt nach Pillnitz und zurück zu buchen und marschierten die zwei Kilometer zurück zum Hotel, um unser Zimmer zu beziehen.
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dresden2-001.jpg Dieses war eine sehr angenehme Überraschung: Gross, mit Stuckdecke, ein originales Villenzimmer, in welches auf diskrete Art, ohne die alte Einheit zu zerstören, eine Nasszelle eingebaut war, die sich von innen als veritables Duschbad ohne Mängel erwies. Nachdem ich mir gleich den ganzen Schlafwagenmief von Leib und Seele gewaschen hatte, machten wir uns zum zweiten mal auf den langen Weg zum Elbeufer.
p220908_1540.JPG Die „Dresden“ wartete schon, und um vier Uhr lösten sich die Taue von den schweren Eisenpollern und -ketten am Quai, die Dampfmaschine schnaufte, peitschte die Schaufelräder an den Seiten ins Wasser, liess einen tiefen Pfiff und eine weisse Dampfwolke durch den Kamin entweichen, bevor dieser mit dem alten Räderwerk nach unten gezogen wurde, um die Brücke zu passieren. Die freundliche Stimme eines älteren Herrn geleitete uns an den schönen Gebäuden und Landschaften links und rechts vorbei und versorgte uns mit spannenden Hintergrundinformationen, während wir auf der gedeckten Terrasse, mit Fotoapparat ausgerüstet, einen Kaffee und eine kleine Schiffsmahlzeit zu uns nahmen. Jede Menge Villen, drei Burgen, ein Wasserwerk, , eine Stand- und eine Schwebeseilbahn, verschiedene „-nitz“-Dörfer und eine alte Schiffswerft wurden uns erklärt, sowie der Fernsehturm und das „Blaue Wunder“, die aus Eisen gebaute Brücke, die als einzige im Krieg nicht gesprengt worden war.
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Bei Schloss Pillnitz, der Sommerresidenz des sächsischen Königs, wendete das Schiff in strömendem Regen und legte an. Auf der Rückfahrt, die wir im warmen Inneren des Schiffes verbrachten, wurden die bereits bekannten Erläuterungen auf angenehme Art anders und mit weiteren Details ergänzt für die neuen Gäste wiederholt. So erwähnte der Sprecher zum Beispiel auch das ehemalige Abfertigungsgebäude der Wasserflugzeug-Postlinie nach Prag. Und mit einem wunderschönen Sonnenuntergang hinter der berühmten Silhouette Dresdens endete dieser entspannende Ausflug.
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Bis zum Hotel waren die Füsse allerdings schon wieder müde und die Nachwirkungen der letzten Nacht zeigten sich deutlich, als wir mit letzten Kräften das nicht gerade überzeugende Abendessen im doch sehr nett gestalteten Speiseraum des Hotels einnahmen. Wir hatten daraufhin nur noch einen Wunsch: Schlafen!
Geschrieben am Montag, September 29th, 2008

(Bitte unbedingt zuerst Teil 1 lesen!)
Um acht jedoch mussten wir schon wieder aufstehen. Waren wir doch für halb elf zum Luther-Denkmal bestellt, wo uns die Eintrittskarten für die diversen von Rolf angeforderten Aktivitäten ausgehändigt werden sollten. Nach einem alle Ansprüche befriedigenden ausgiebeigen Frühstück machten wir uns also um zehn Uhr in zügigem Tempo auf den Weg, zum dritten Mal, in die Altstadt, wo ich, während Rolf beim Denkmal wartete, erst mal die Toiletten beim Verkehrsmuseum in Anspruch nahm. Dabei las ich, dass dort ein Film gezeigt werde über das alte und das neue Dresden. Ich nahm diese Idee auf für den noch ungeplanten dritten Tag. Als ich zu Rolf zurückkam, war dieser in einem Telefongespräch mit dem Besichtigungsorganisator, der noch nicht am Platz erschienen war. Warum? Das ganze Programm fand nicht wie gewünscht am Dienstag, sondern aufgrund der Öffnungszeiten des „Grünen Gewölbes“ am Mittwoch statt. Rolf hatte diesen Hinweis auf der Bestätigung übersehen. „Kein Problem“, sagte ich, „dann sehen wir uns eben den Film da drüben an.“ Wir freuten uns also auf einen spontanen Tag, lösten Eintrittskarten für das Verkehrsmuseum inklusive Fotoerlaubnis und Filmbesichtigung und ich sah meinen ersten Trabi de Luxe aus der Nähe.
Um elf begann der Film, der von links von bestätigenden alten Dresdnern und von rechts von bayrischen Leidensgenossen rege kommentiert wurde. So interessant und amüsant die Zusammenstellung alter Filmdokumente das blühende Leben einer wundervollen Stadt zu Beginn wieder auferstehen liessen, so erschütternder waren die Bilder von unbegreiflicher Zerstörung nach dem sinnlosen Bombenangriff der Amerikaner im Februar 1945, in den allerletzten Kriegstagen. Eine tiefe Wut ergriff mich, Tränen liefen mir über das Gesicht und ich konnte nicht fassen, was ich da sah. Zudem wurde mir klar, dass solche Zerstörung, solcher Irrsinn wieder und wieder herbeigeführt werden, immer noch, zuletzt im Iran unter dem Vorwand von Befreiung und Bekämpfung eines Terrors, den ich aufgrund solcher Bilder sogar zu verstehen beginne. Frauen und Kinder, Alte, Flüchtlinge, historische Schätze, zivile und kein einziges militärisches Ziel wurden in dieser Nacht dem Erdboden gleichgemacht, Dresden zu 95% zerstört. Tausende von Frauen krochen unter den Trümmern hervor, sammelten ein, was es noch zu sammeln gab und räumten in endloser Geduld Stein um Stein weg. Innerhalb weniger Jahre baute die restliche Bevölkerung mit Hilfe von Spenden und mit russischer Unterstützung eine erste notdürftige Lebensgrundlage, eine Infrastruktur mit Wohnraum, Strassenbahnen und Arbeitsplätzen wieder auf und das Leben ging weiter. Doch damit nicht genug: Noch vor der Wende und vor allem nachher begann ein Umdenken, alte Ruinen wurden nicht mehr nur durch neue Bauten ersetzt, sondern mit viel Liebe und Sorgfalt wieder aufgebaut, Stück für Stück, Stein für Stein wurde der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt. So erstrahlen heute das Schloss, der Zwinger, die Kreuz- und die Katholische Kirche und die Semperoper in neuem altem Glanz und als letztes wurde vor sechs Jahren die Frauenkirche, von der nur noch drei kleine Teile standen, bis aufs letzte Detail wieder zusammengestzt.
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Sie erstrahlt als das Wahrzeichen der Stadt, des Lebenswillens und des Stolzes der Einwohner und Bürger Dresdens. Es ist mir nicht mehr möglich, darin nur noch ein historisches Gebäude zu sehen. Dresden ist keine Stadt, es ist eine Lebenshaltung. Und ich sitze hier und kämpfe schon wieder mit den Tränen.
Nach einer ausgiebigen Fototour durch das restliche sehr interessante Museum inklusive Besteigung eines Hochrades gingen wir an diesem zweiten Tag unseres Besuches zum Shoppen über.
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Souvenirs, Bücher, Kleider, Esswaren, und vor allem Sammeln von Ideen für einen allfälligen neuen Geschäftszweig, dem Import und Verkauf sächsischen und thüringischen Handwerks in der Schweiz liessen den Tag wie im Fluge vergehen. Mit noch vollem Bauch von einer delikaten japanisch-chinesischen Zwischenmahlzeit und ebenso vollen Einkaufstaschen erreichten wir wiederum erschöpft unser Hotel und liessen uns das zweite Abendessen schmecken. Danach vertiefte ich mich in einen historischen Kriminalroman, der im Dresden des achzehnten Jahrhunderts spielte, das ich mir nach Film und Schifffahrt so gut vorstellen konnte. Doch nach nur wenigen Seiten schlief ich ein.
Geschrieben am Montag, September 29th, 2008 

Dresden 3.Tag

(Bitte unbedingt zuerst Teil 1 und 2 lesen! Der schnellste Weg dorthin führt über einen Klick auf die Überschrift, dann noch einen auf den Link zu Teil zwei, dort wiederum zu Teil eins.)
Erneut machten wir uns also am Mittwoch Morgen auf zum Denkmal des Martin Luther vor der Frauenkirche, diesmal allerdings etwas früher und daher auch entsprechend gemütlicher. Ein Mann kam auf uns zu. Diesmal klappte alles und wir erhielten Eintritts- und Fahrkarten für den ganzen Tag. Es sah nach gedrängtem Programm aus.
Zuerst stiegen wir in einen roten Doppelstöcker. Da es draussen regnete und die Scheiben beschlugen, konnten wir keine Fotos machen. Dennoch war die Stadtbesichtigung “von oben” sehr interessant und aufschlussreich. Wir fuhren aus der uns inzwischen gut bekannten Altstadt hinaus, in neuere Quartiere, am grossen Garten und der Badeanstalt, der “Stadtpfütze” vorbei, auf die andere Elbseite in die Neustadt, mit einem kurzen Besuch im “schönsten Milchladen der Welt” (http://www.pfunds.de/start.htm), in erstaunlich kurzer Zeit zum “Blauen Wunder” und zweimal drüber, der Elbe entlang wieder zur Altstadt zurück. Auch diese Fahrt wurde von einer netten, diesmal weiblichen Stimme begleitet. Auch sie berichtete von dem Gerücht, das “blaue Wunder” sei ursprünglich grün gewesen, doch im Gegensatz zum Reiseleiter auf dem Schiff wusste sie nichts von Rechnungen für blaue Farbe zur Bauzeit der Stahlbrücke zu berichten.
Nach einem kurzen Kaffee mit langer Wartezeit kamen wir gerade noch rechtzeitig ins historische “Grüne Gewölbe”, wo die der Zerstörung von 1945 entgangenen Schätze der Sachsenkönige, allen voran Augusts des Starken, ausgestellt sind. Auch diese Räumlichkeiten wurden und werden immer noch in hingebungsvoller Kleinarbeit wiederhergestellt. Mit Kommentar-Telefon am Ohr bestaunten wir Unmengen von Porzellan, Elfenbein, Gold- und Silbergefässen und -figuren, Bronzestatuen und Emailstandbildern, Holz- und Edelsteinintarsien, Uhrwerken, Schatullen und Bildern. Natürlich war Fotografieren nicht erlaubt, und so bleibt mir hier wieder nur die Möglichkeit, einen Link zu setzen.
Auch das “Neue Grüne Gewölbe” war nicht weniger eindrücklich. Dort sind die ganz speziellen Stücke so angeordnet, dass man sie von allen Seiten her betrachten kann.
Danach ging’s gleich weiter, diesmal mit der Strassenbahn. Ziel war das “1756 Panometer”, ein Panoramabild der besonderen Art. Es zeigt Dresden im Jahre 1756 und ist in einem Gasometer aufgebaut. Der Künstler und Architekt Yadegar Asisi hat es mit seinem Team aus unzähligen Einzelteilen mit modernster Computertechnik zusammengesetzt. Die Wirkung für den Zuschauer auf dem Turm in der Mitte, Standort ist die Kreuzkirche, ist überwältigend. Lichtspiel und Geräuschkulisse runden die Täuschung perfekt ab.
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Da wir nun über eine Tageskarte der gesamten Dresdener Verkehrsbetriebe verfügten, konnten wir für den Rückweg die Bahn benutzen und fanden uns nach knapp 20 Minuten in unserem Hotel wieder, wo wir rasch das Abendessen einnahmen. Ohne auch nur unser Zimmer aufzusuchen, eilten wir ein letztes Mal in die Stadt, doch wir hatten ja immer noch unsere Fahrkarte. Also die Strassenbahn. Aber welche führte zum Reiterdenkmal? Nach mehrmaligem Nachfragen kamen wir schliesslich mit Verspätung atemlos dort an.
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“Warum die Eile? Ich warte doch auf euch!” begrüsste uns ein Nachtwächter mit Umhang und Laterne und lachte. Aber - war das nicht der nette Herr, der uns die Eintrittskarten überreicht hatte, höchstpersönlich?
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Aber ja. Und nach einem kleinen Schwatz, denn wir waren seine einzigen Gäste zu diesem Nachtwächterrundgang, machten wir uns auf den Weg durch die Hinterhöfe der Neustadt. Noch ganz im Eindruck des alten Dresdens aus dem Panometer und den Prunkstücken aus dem Schlossgewölbe gerieten die Ausführungen des Nachtwächters auf guten Nährboden. Die Zeit des Reiters auf dem Denkmal, König Augusts dem Starken, und seine Ideen einer königlichen Stadt auf der anderen Elbseite wurden zu dieser nächtlichen Stunde lebendig. Zusammen mit dem historischen Roman, den ich mir gekauft hatte, erstand in meinem Innern ein lebendiges Bild einer längst vergangenen Zeit. Die Zahlen wurden verständlich, ergaben einen Zusammenhang und ich begriff von einer vierten Seite, was das Besondere an dieser Stadt Dresden ist.
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Auch wenn dieses Bild nicht besonders gelungen ist, so umfasst es doch den ganzen Reiz einer mir bis dahin völlig unbekannten Stadt in einer ebenso unbekannten Welt, vom Westen zerstört und abgeschnitten, vom Osten ausgenommen und wieder aufgebaut und mit eigenem unerschöpflichem Einsatz gehegt und gepflegt in einer Art und Weise, die mich nicht kalt lassen kann. Eine blühende Stadt voller Leben, trotz Wunden, die bis heute sichtbar sind, eine Liebe zu Landschaft, Geschichte und Gegenwart, die mich tief beeindruckt. Ich wede nicht zum letzten Mal in Dresden gewesen sein.
Geschrieben am Montag, September 29th, 2008

Joe

Wie angekündigt waren wir dieses Wochenende in Salzburg. Eine hübsche Stadt mit einem netten Flair, Mozart an jeder Ecke und in allen Formen und Geschmacksrichtungen, Fiaker, Kaffeehaus mit viel Kuchen und - einem Geschäft voller Weihnachtseier!
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Aber viel mehr Eindruck als die Stadt hat mein alter Freund Joe auf uns gemacht. Vor drei Jahren hat er sich vom Gehen aufs Rollen verlegt, und das nicht spasseshalber.  Dabei war gerade das - Rettungsdienst und Kriseninterventionspsychologie - der ganze Lebensinhalt des gelernten Psychiatriepflegers, seit ich mich an ihn erinnern kann. Damals war ich Teilnehmerin in einem Feriencamp für behinderte und nichtbehinderte Kinder und er war dort Betreuer. Der 18-jährige Cowboy Joe, wie er sich nannte, war schon dort für alle da, half, wo er konnte, setzte sich dafür ein, dass alle Spass und Freude erleben konnten, hörte zu und spendete Trost oder guten Rat. Wir blieben über all die Jahre in lockerem brieflichem Kontakt und besuchten uns nur je einmal. Dennoch entstand eine Art innige Freundschaft. Nach steter Weiterbildung war er mit 44 Jahren ein hochdekorierter, sprich mehrfach ausgezeichneter Spezialist auf seinem Gebiet, als er auf dem Weg zur Arbeit von einem andern Fahrzeug unsanft direkt auf die andere Seite seiner einstigen Tätigkeit katapultiert wurde. Aus dem Rettungssanitäter wurde ein Geretteter, aus dem Helfer in der Not ein Schwerverletzter, der Rat und Tat nötig hatte, um Stück für Stück wieder zu Lebensmut und -qualität zu gelangen.
In mehreren Rundmails an seine Freunde informierte Joe über seine unzähligen Operationen, Fortschritte und Rückschläge und ich blieb aus Betroffenheit oftmals einfach stumm. Nicht als Einzige, wie ich nun gelernt habe. Ich war sogar eine der wenigen, die ab und zu doch antworteten und Anteil nahmen. Und ich versprach ihm diesen Besuch in Salzburg.
In den drei Tagen bei Joe sahen und erlebten Rolf und ich, was es heisst, als Paraplegiker in einsamem Kampf zu versuchen, einen “normalen” Lebensstandard wiederzuerlangen. Was für unsere Augen wie Luxus aussieht, ist in Wahrheit eine Ansammlung von absolut notwendigen Hilfsmitteln, um auch nur die nötigsten Dinge im Haushalt ohne fremde Hilfe erledigen zu können. Während wir morgens das Bad für zehn Minuten beanspruchen, benötigt er für die Morgentoilette an die zweieinhalb Stunden, wovon eine Pflegehilfe genau 50 teure Minuten lang bei der medizinischen Versorgung hilft. Auch die Zubereitung von Mahlzeiten dauert ungleich länger, und ohne Arbeits- und Herdplatte auf der geeigneten Höhe und Hochschränke mit Hydraulik wäre daran gar nicht zu denken. Selbst das auswärts Essen oder Einkaufen entpuppt sich als ein Unterfangen mit tausend Hindernissen, angefangen beim Besteigen des Busses oder der Unüberwindbarkeit von Treppen, Absätzen oder auch nur fehlenden Absenkungen des Randsteins am Fussgängerstreifen. Eine Zugfahrt ist gänzlich undenkbar, es sei denn, der reservierte Platz für Behinderte sei tatsächlich freigehalten und der Transfer von einem Zug zum andern funktioniere, bevor dieser abfährt. Gepäck ist dabei noch nicht eingerechnet und auch da ist es mit einer Reisetasche nicht gemacht.
Eine Rollstuhl befahrbare Wohnung mit genügend breiten Türen und Platz zum Wenden, tief genug angesetzten Lichtschaltern und brauchbaren Einrichtungsgegenständen inklusive Spezialbett allein kostet ein Vermögen, die speziellen Anpassungen am Fahrzeug, der Voraussetzung für ein unabhägiges Vorwärtskommen in einer nicht behindertengerechten Verkehrslandschaft, kostet ein zweites. Die Versicherungen zücken alle Argumente, um nicht zahlen zu müssen. Die Alternative ist jedoch eine völlige Abhängigkeit von fremder Hilfe - die nach Abwendung aller emotional nicht behindertentauglichen Freunde ebenfalls sehr spärlich geworden ist. “Wenn sogar die eigene Familie nicht damit umgehen kann, wie sollen dann die andern?”, fragte Joe traurig und erzählte von Erlebnissen im Café, wo Leute, die gefragt hatten, ob der Platz frei sei, sich wortlos abwandten, als sie den Rollstuhl erblickten. Und wir sassen da und waren ratlos. Betroffen. Wütend. Und ertappt in der kollektiven Blindheit der “normalen” Gesellschaft, die tagtäglich dafür sorgt, dass Mitmenschen in ihrer Bewegungsfreiheit behindert, ihrer Integrität beraubt, als unzurechnungsfähig belächelt und hierzulande sogar immer noch offiziell als “invalide” (ungültig) bezeichnet werden. Wir glaubten, einer aufgeklärten Zeit anzugehören, in der alles dafür getan wird, dass Menschen aller Art gleichberechtigt miteinander leben können. Und merkten erstaunt, wie weit wir offenbar immer noch davon entfernt sind. Vor allem braucht es eigentlich nur eins: Offenheit und Mut im Angesicht der Angst, die uns beschleicht, wenn wir so einem Schicksal gegenüberstehen. Es könnte auch uns treffen. Das kann es aber auch, wenn wir nicht hinschauen und uns abwenden. Das nützt nichts.
Im Gegenteil, wir könnten etwas verpassen. Wir könnten verpassen, einen Menschen kennenzulernen, der trotz grossen Leidens und langwierigem Kampf nie den Sinn für Humor und Ästhetik, gutes Essen und Geselligkeit verloren hat. Dieser Mensch hat viel zu geben, nicht nur seine erworbenen Kenntnisse, die er selbstredend auch ohne funktionierende Füsse immer noch besitzt, sondern zusätzlich Einfühlungsvermögen, Geduld und Weitblick, gewonnen aus der Erfahrung und der veränderten Perspektive. Helfen ist immer noch sein Ziel. Und da gibt es viel zu tun. Er weiss jetzt, wie und womit, denn er erlebt es täglich. Und er hat Freunde und Mitmenschen verdient, die ihn dabei unterstützen. Genauso, wie wir alle Freunde verdient haben, die uns helfen, unsere Barrieren zu überwinden.
Mit reichem Herzen und dem Wissen, noch lange auf dem Weg des Lernens zu sein nahmen wir herzlich Abschied und bedankten uns für eine gewaltige Horizonterweiterung und eine liebevolle und warme Bewirtung. Diesen Dank wiederhole ich gerne hier vor aller Welt und hoffe, auch etwas von dem Erlebten und Erfahrenen weitergeben zu können, ein bisschen Bewusstsein zu öffnen damit ein bisschen Liebe und Lebensfreude weitergetragen werden kann.
Geschrieben am Sonntag, Oktober 12th, 2008

Bella Venezia

Es war einmal ein Versprechen, geboren aus der Idee, als Mutter jeder einzelnen meiner Töchtern ein paar Tage lang einen Teil der weiten Welt zu zeigen. Nur sie und ich.
Mit der Ältesten war ich vor drei Jahren in England gewesen mit London als Ziel. Just an dem Tag, als die Bomben hochgingen, waren wir auf der Fähre. Dementsprechend bogen wir der Küste entlang ab. Aber das ist eine andere Geschichte.
Seither stand die Frage im Raum, wann und wohin ich mit meiner zweiten Tochter fahren wollte. Der Ort war relativ bald klar: Sie wünschte sich Venedig. Aber der Zeitpunkt gestaltete sich als Problem und zwar aus finanziellen und terminlichen Gründen. Alles geriet irgendwie drunter und drüber und nie reichte es. Als wir nun daran gingen, die Herbstferien zu planen, nachdem wir den Sommer über zu Hause geblieben waren, packte mich das Reisefieber endlich mal wieder so richtig und ich beschloss, nebst der Dresden-Reise auch dieses Versprechen nun endlich einzulösen.
So fuhren wir zwei also nach Venedig. Nach sechs Stunden Zugfahrt erreichten wir Mestre, wo wir erst mal per Bus zu unserem Hotel fahren mussten. Endlich dort angekommen, beschlossen wir, zuerst einmal nur auszuruhen, zu schauen, was es in einem italienischen Supermercato zu kaufen gibt, und dann ins nächste Restaurant essen zu gehen. Zu mehr reichte die Energie nicht mehr. Der Einkauf war sinnlos und lustig und die Speisekarte vor allem für mein verwöhntes Schweizermädchen gewöhnungsbedürftig. Doch letztlich waren wir zufrieden und satt und vor allem müde.
Am Freitag fuhren wir - nach einer guten Nacht mir unsanftem Ende durch nachbarzimmerliche Unterhaltung in lautstarkem Italienisch - dann endlich mit dem hoteleigenen Shuttlebus in die berühmte Lagunenstadt. Dort bestiegen wir das erstbeste Boot zur Piazza San Marco … und erwischten prompt zuerst dasjenige, das um die Insel herum durch den Hafenbezirk führte. Es war sardinendosenvoll.
Aufs Geratewohl stiegen wir dann mal gegenüber des Markusplatz aus, auf der Isola S. Giorgio Maggiore, wo wir uns die Kirche ansahen.
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Mit dem nächsten Boot ging’s weiter zur Piazza S. Marco.
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Tauben gab’s dort weniger als Menschen und die von meiner Tochter ins Auge gefasste Schirmmütze wurde von Stand zu Stand teurer. Die Schlangen vor der berühmten Basilica und dem Campanile waren unendlich, und so verlegten wir unser Augenmerk auf die Schaufenster und Cafés unter den altehrwürdigen Arkaden, während das Wasser der Flut den Platz unter Wasser zu setzen drohte.
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Murano-Glas, wohin das Auge blickte; wir sahen es in allen Variationen, an jeder Ecke der Stadt. Daneben Masken in allen Preislagen, von den billigen an den Ständen bis hin zu den handgearbeiteten Einzelstücken in den kleinen Shops der unendlich verwinkelten Gässchen, die nicht zubezahlen sind. Eine weitere Spezialität sind die Arbeiten mit marmoriertem Papier, Federn, Bücher, Kartinschachteln aller Art, hinreissend als altes Handwerk erhalten. Und schliesslich die Klöppelarbeiten, Spitzen und Deckchen, Webereien und die herrlichen Kleider aus dem 18. Jahrhundert, immer wieder neu geschneidert für Konzerte und Karneval. Aber ich greife vor. Dies alles erkundeten wir in zwei vollen Tagen, die schmerzenden Füsse können es bezeugen.
Nach einer kurzen ersten Tour gingen wir zu den Ständen am Quai zurück, wo der Hut am billigsten gewesen war und stiegen in ein Vaporetto durch den Canal Grande. Leider hatten wir auch da nur schwerlich freie Sicht auf die herrlichen Palazzi.
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Ich hatte den Eindruck, dass seit meinem ersten Besuch vor einigen Jahren etliche Gebäude wieder schön hergerichtet worden sind. Und auch Baustellen waren einige zu sehen, wie zum Beispiel die im letzten Bild ganz rechts, welche mit einem Spiegel getarnt ist, so dass sich die Reihe der Prachtbauten automatisch wieder schliesst.
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Bei der Rialtobrücke stiegen wir aus und überquerten sie. Ein steter Strom von Menschen ergriff uns und wir hörten alle europäischen Sprachen gleichzeitig. Nachdem wir uns in eine Seitengasse gerettet hatten, fanden wir ein paar gedeckte Tische mit einem alten Butler ähnlichen Kellner und assen eine Pizza. Der Rest des Tages verging mit dem oben erwähnten Schnüffeln in diversen Geschäften und zusammensuchen der Mitbringsel für die Zuhausegebliebenen. Schliesslich fanden wir einen Geldautomaten - die Voraussetzung für ein richtiges Nachtessen.
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Nach deutlichem Nasenrümpfen meiner Tochter bei den hübschen Fischauslagen der Restaurants mit den romantischen Zeltchen am Wasser bogen wir wiederum in eine Seitenstrasse ein und wurden prompt vom Kellner mit einem Gläschen Erdbeerwein von der Menükarte direkt an den Tisch gelockt. Er erging sich in Freude darüber, dass wir aus der Schweiz kamen und unterhielt überhaupt sein Publikum in fünf Sprachen mit sehr viel Witz und Charme. Auch das Essen war köstlich und ermutigte zu Experimenten. Zum Abschied beehrte er uns noch mit einem Schluck Limoncè, einem Zitronenlikör, den er uns gleich mitsamt der Flasche auf den Tisch stellte.
Bester Laune beschlossen wir unsern ersten Tag, indem wir unsere schweren Taschen und Tüten neben uns auf den Sitz des Shuttle-Busses legten und uns dann müde ins Hotelbett plumpsen liessen.
Dem ersten Tag folgte ein zweiter der gleichen Machart, mit dem Unterschied, dass wir die guten Ratschläge des Hotelportiers tunlichst umgingen und auch die Routen aus dem Reiseführer ausser Acht liessen - meine Tochter wollte nur so einfach drauflos erkunden, was uns gerade unter die schmerzenden Sohlen geriet. Einzig das Gheto Vecchio suchten wir, konnten dann aber die jüdische Synagoge nicht besichtigen, weil da gerade eine Hochzeitsgesellschaft herauskam, von den Carabinieri bewacht. Ein Stück andere Welt. Wir gingen der Nase nach weiter und kamen ans Ende der Insel - mitten in einem Wohngebiet mit Wäscheleinen von einem Haus zum andern begann das Meer.
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In der Nähe fanden wir einen kleinen Park, der ein paar Ruinen, einen Kindergarten, ein Puppentheater und einen Tauben und Spatzen fütternden Mann enthielt. Wir bemerkten, wie selten und wichtig solche grünen Oasen in dieser Stadt sind.venedig08-116.jpg
Nachdem wir wieder in die toruistische Zivilisation zurückgefunden hatten, beschlossen wir, uns den Luxus einer Gondelfahrt zu leisten.
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Die ins Auge gefasste Prachtgondel fuhr jedoch ohne uns ab, doch gleich darauf pflückte uns ein anderer Gondoliere aus der Menge. Er erzählte in schlecht verständlichem Englisch oder Italienisch, weil mit Venezianischer Aussprache, beides abwechselnd, ein paar Dinge über die Gebäude an denen wir vorbeifuhren. Dieses zum Beispiel gehörte dem berühmten Casanova.
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Wir lernten aber auch, dass der Unterschied zwischen Flut und Ebbe etwa einen Meter beträgt und die Lizenz zum gondelfahren nicht der Einzelne, sondern die ganze Familie seit Generationen besitzt, ebenso die Gondel. Alle zusammen gehören dann der Gilde der Gondoliere an und als Team organisiert. Daher verlangen auch alle gleich viel: horrende 80 Euro!
Immer noch zu Fuss gingen wir schliesslich erneut zum Markusplatz und von dort der breiten sonnigen Riva entlang bis zum öffentlichen Garten, den giardini publici ganz am rechten Zipfel der Insel.
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Auch hier war wieder ein ganz anderes Leben zu sehen. Wenige Touristen, Kinder die Fussball spielten, Alte, Geschäftsleute, einfach abendliche Geruhsamkeit. Nach einem Blick auf die Insel Lido, der Venedig seine geschützte Lage verdankt, bestiegen wir zum letzten Mal einen Vaporetto, der durch den breiten Canale di San Marco und den gesamten Canal Grande zum Bahnhof zurück brachte.
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Nach einem feinen Essen im selben Restaurant wie am Vorabend, bei etwas kühleren Temperaturen, aber immer noch draussen, verliessen wir diese schöne Stadt müde, aber erfüllt von Eindrücken. Am Sonntag hatten wir leider nicht mehr die Möglichkeit zu einem letzten Spaziergang, weil die Gepäckaufbewahrung am Bahnhof Sta Lucia hoffnungslos überladen war. So genossen wir noch die Sonne im nahen Café und amüsierten uns über die Unfähigkeit eines Kellners, sobald wir uns nicht mehr darüber ärgerten. Die Zugfahrt zurück war angenehm - bis wir kaum in der Schweiz von einer Horde lautstark jodelnder “erwachsener” Landsleute bis ins Unerträgliche beglückt wurden. Nie mehr werde ich mich über das lebhafte Wesen der Italiener beklagen…
Geschrieben am Montag, Oktober 6th, 2008


In Augusta Raurica

Es hat etwas länger gedauert, bis ich mich an die Arbeit zu diesem für Mittwoch versprochenen Bericht machen konnte. Die ganze Reise war doch ziemlich anstrengend und ich musste mich zuerst richtiggehend erholen!
Aber die Schulreise hat sich gelohnt. Auch die Kinder fanden nur, dass man etwas weniger hätte laufen sollen, sonst sei alles wunderschön gewesen.
Und das haben wir erlebt:
Wir fuhren am Montag Morgen mit Zug und Bus nach Arisdorf, wo wir in einem alten Bauernhaus hoch über dem Dorf im Stroh übernachten wollten. Nach dem Mittagessen dort im Gemeinschaftsraum wanderten wir den 1.5 km langen Weg wieder hinunter zum Bus, der uns nach Kaiseraugst brachte. Bevor wir die römischen Rheintherme besichtigten, fassten einzelne Kinder einen Spezialauftrag und alle sollten sich als Bürger der römischen Stadt überlegen, ob die Bäderanlagen erweitert werden sollten oder nicht. Die Therme-Ruinen sind in einem Schutzgebäude aus Beton frei zugänglich und bieten einen sehr schönen Einblick in die damalige Bäderanlage.
Zu Fuss gingen wir ins “Zentrum” der Römerstadt Augusta Raurica, welches im Gebiet der heutigen Gemeinde Augst liegt. Am Römermuseum und dem grossen Theater vorbei kamen wir zur andern Bäderanlage, die aus freigelegten Grundmauern besteht, hinter welchen auf einem riesigen Transparent dargestellt ist, wie es wohl darin ausgesehen hat. Der Effekt ist gelungen. Unter der Anlage ist eine Brunnenstube zugänglich. Das gruselig feuchte Ambiente machte den Kindern Eindruck.
Kurze Zeit später berieten in der Curia des nahen Forums der Bürgermeister, wichtige Ratsmitglieder, ein Arzt und weitere wichtige Bürger über die Erweiterung der Bäder. Ausnahmsweise durften sogar Frauen ihre Anliegen einbringen. Durch die Füsse (indem sich die Stimmenden auf die Ja-, bzw. die Nein-Seite begaben) wurde eindeutig einem Ausbau der bestehenden Bäder zugestimmt.
Müde waren sie, doch eine Besichtigung der römischen Kloake liessen sich die Kinder doch nicht entgehen. Die Vorstellung, dass durch den engen dunklen Gang, der in den Wald führte, einst die Abwässer eines römischen Gutshofs flossen, hinderte sie nicht, den selben Weg zu nehmen. Sie liessen sich sogar noch nur leicht murrend in den römischen Tierpark locken - da der Bus sowieso erst nach vierzig Minuten gefahren wäre - und sahen dort eine Wollsau, Hausgänse, Enten und Ziegen. Zudem einen römischen Wachsoldaten, die Fundamente des Osttores der damaligen Stadt sowie in einem Pavillon das gemalte Panorama jener Zeit.
Nach rasanter Busfahrt und dem zweiten Mal sich Hochquälen zum Bauernhof spielten die Kinder schon bald wieder Fussball. Das Abendessen war aufgedreht laut und die Nacht abenteuerlich. Doch bis zuletzt schliefen alle friedlich in ihren Schlafsäcken im sauberen Stroh.
Der zweite Tag begann mit einem herrlichen Frühstück mit selbstgebackenem Zopf (!) und hausgemachter Marmelade. Die Stärkung war auch nötig für den erneuten Abstieg und einen ereignisreichen Morgen in Augusta Raurica. Diesmal war ein Theaterworkshop angesagt. Davon lasse ich nun Bilder sprechen:
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Nachdem das Stück auf der Bühne klappte, mussten wir alle Requisiten wieder versorgen. Zum Mittagessen folgten wir dem Gladiatorenweg zum Amphitheater, wo wir auf etliche Schulklassen trafen, die auch den besten Picknickplatz gewählt hatten.
Dennoch etwas ausgeruht trafen wir gegen zwei Uhr wieder beim Römermuseum ein, wo die Kinder erneut mit Tuniken und Togen ausgerüstet im nachgebauten Römerhaus pro Zimmer ein Rollenspiel vorbereiten konnten. Diese belebten Räume sahen wir uns dann reihum an. Die alten Römer waren auferstanden!
Zum Abschluss dieser anstrengenden und spannenden Besichtigung versuchten wir uns im Mosaikenraum unter der Curia mit Geduld. Auch hier sagen Bilder mehr als Worte:
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Gar nicht so einfach! Aber sogar das wieder Einräumen der Steinchen in die richtigen Boxen gelang und schliesslich kamen wir auch am zweiten Abend mit letzter Kraft in unserem hoch gelegenen Bauernhaus an. Das Abendessen war so gut berechnet, dass drei Familien noch von der Resten zehren konnten, obwohl die Kinder mit Heisshunger darüber herfielen. Und die Nacht musste zwar mit aller Vehemenz für begonnen erklärt werden, verlief aber ohne weitere Abenteuer.
Am Mittwoch Morgen fuhr eine müde und aussergewöhnlich ruhige 4. Klasse mit Bus und Zug wieder in die Heimat und Gegenwart zurück, wo jedes Einzelne von regentriefenden Müttern an seiner Bushaltestelle in Empfang genommen wurde.
Kurz: Wir hatten viel erlebt, viel Glück mit dem Wetter gehabt und waren allesamt ziemlich auf den Felgen. Aber schön war’s.
Geschrieben am Samstag, Juni 7th, 2008

Das Bild von Annecy

In meinem Arbeits- und Schlafzimmer hängt ein Bild. Mehrere natürlich, aber dieses eine hat für mich eine besondere Bedeutung. Ich habe es in Annecy gekauft, der Stadt, in der ich damals auf meiner Soloreise über Ostern hängengeblieben bin.
Meine Kinder hatte ich für die Feiertage zu ihrem Vater gebracht - wir waren frisch geschieden. Ich hätte also zum ersten Mal alleine zu meiner Familie fahren sollen, doch dazu hatte ich keine rechte Lust. So beschloss ich, einfach mal ganz alleine wegzufahren. Die Richtung war klar - Südfrankreich - doch wie weit ich es effektiv durchziehen würde, wusste ich nicht. In Genf machte ich Zwischenhalt, besah mir zum ersten Mal den Jet d’Eau von nahem und ass in einem Café ein Eis. Danach passierte ich die Grenze. Der zweite Halt galt einem Bancomaten: Ich musste meine EC-Karte testen. Es funktionierte. Mit genügend Francs (damals noch) in der Tasche machte ich mich also frohen Mutes auf ins Ungewisse. Laute Musik von Toto begleitete mich und weckt noch heute dieses Gefühl der ungewohnten Freiheit in mir.
Die Stadt Annecy, an einem kleinen See gelegen, war mir von einem Freund empfohlen worden, und so beschloss ich dort einen weiteren Stopp einzulegen. Doch weiter kam ich nicht mehr. Das Städtchen mit seinen vielen Blumen, Brücken und verwinkelten Gässchen übte sofort einen grossen Charme auf mich aus und so fragte ich auf dem Office du Tourisme nach einem günstigen Hotel.
Nachdem ich etwas ausserhalb meine Bleibe bezogen hatte, machte ich mich wieder auf den Weg zurück in die Stadt. Das Auto parkte ich in einem seltsamen Parkaus. Es war wie von einem riesenhaften runden Bohrer senkrecht in den Boden eingelassen und man fuhr im Kreis nach unten an den Parkplätzen vorbei, welche Nase voran nach der Mitte hin zeigten. Den Abschluss dort bildete ein Geländer, von welchem aus man durch die grosse Öffnung hinauf den Himmel erblickte. Es war etliche Stockwerke tief. Oben auf dem grossen Platz stand jedoch nur das kleine Kassenhäuschen.
Nachdem ich mir in einer kleinen Crèperie mit nur vier Tischen meine Lieblingsspeise gegönnt hatte, erforschte ich die Strassen. Die Arkaden erinnerten mich an meine Heimatstadt Bern, doch die Gassen waren viel kleiner und unregelmässig verzweigt, so dass ich ohne den schmalen Fluss, der mir immer wieder begegnete, wohl die Orientierung verloren hätte. Irgendwo an diesem Fluss, dort, wo er sich verzweigte, beziehungsweise nach einer Insel mit einer schiffsähnlich zum Spitz zulaufenden Festung wieder zusammenkam, stand ein Maler. Vielleicht war das auch erst am zweiten Tag meines Aufenthalts, denn ich sah diesem Mann lange zu, wie er jene Festung mit einem schlanken Türmchen an der Spitze, einer Gallionsfigur nicht unähnlich, in lebendigem Farbenspiel auf die Leinwand brachte. Wie er mit hellen Pinselstrichen zuerst nur die Umrisse andeutete, dann die Grundfarben des blauen Himmels und des Wassers, der Häuser und Ziegeldächer auftrug, wie dann Schatten und Spiegelungen im Wasser nach und nach dem Bild immer mehr Leben gaben. Vier Stunden lang sah ich zu, ging zwischendurch mal ein paar Strassen weit, dann wieder zurück, staunte über die Fortschritte, die Technik, die Wirkung eines jeden Pinselstrichs auf das Werk, das vor meinen Augen entstand. Irgendwann wurde der Maler auf mich aufmerksam, fragte mich, woher ich komme, erzählte aus seinem Leben als Strassenmaler in Annecy, seit vielen Jahren schon. Ich fragte nach dem Preis des Bildes. Er meinte, mir würde er es für 400 Francs geben. Nun ja, dachte ich, eigentlich habe ich schon genug ausgegeben mit Fahrt und Hotel, aber … und ich überlegte es mir noch eine Weile, während ich weiter zusah, wie “mein” Bild am Entstehen war. Ich wollte es haben, unbedingt, es verkörperte meine Freiheit, meinen Mut und meine Freude an diesen geschenkten paar Tagen für mich selbst.
Da geschah das Unfassbare: Ein Engländer trat auf den Maler zu, verhandelte kurz, der Künstler warf einen kurzen Blick auf mich und zuckte dann leicht mit den Schultern. Der Tourist hatte 600 Francs geboten. Ich verstand, dass er diese Gelegenheit nicht ausschlagen konnte, das Bild per Handschlag versprach und einen Zeitpunkt nannte, zu dem es abgeholt werden konnte. Als der Engländer sich entfernt hatte, kam er zu mir und meinte entschuldigend, solche Gelegenheiten könne er sich nicht entgehen lassen. Aber wenn der Mann nicht wiederkomme, dann könne ich das Bild für 400 Francs haben.
Etwas enttäuscht ging ich in mein Hotel. Am nächsten Morgen waren wir alle wieder dort: Das trockene Bild, der Maler, ich und - leider auch der Engländer. Der bezahlte und verschleppte mein Bild. Nun ja, dachte ich und betrachtete die andern Sujets, die kleiner und somit ja auch billiger waren. Dann halt ein anderes. Doch es gefiel mir keins so gut wie das Werk, dessen Entstehung ich beigewohnt hatte. Der Künstler fragte mich, was ich denn gerne hätte, er male noch eins für mich. Doch es wollte mir nichts anderes mehr einfallen und zudem hatte ich auch nicht mehr genügend Geduld, um nochmal vier Stunden dazustehen. Da überlegte er kurz und sagte: “Wenn du willst, hole ich dir eins in meinem Atelier, da ist noch eines, das ich im Herbst am gleichen Ort gemalt habe.” Und weg war er. Ich hielt bei der Staffelei und den andern Bildern Wache.
Ein paar Minuten später stand er wieder da mit einem Bild, das wirklich vom genau gleichen Standpunkt aus gemalt worden war. Aber irgendwie war es nicht so frisch und lebendig, wie das andere. “Gefällt es dir?” Als ich zögerte, sagte er:”Du hast Recht, da war Herbst. Ich male dir ein wenig Frühling hinein”, und mit erstaunlich wenigen Pinselstrichen von seiner Frühlingspalette zauberte er hier ein paar frische Blätter, dort ein paar sonnenbestrahlte Dächer und Fassaden, einige neue Spiegelungen im Wasser und einen helleren Himmel auf die Leinwand. Voilà, das Bild erstrahlte in bestem Osterlicht.
Ich holte mein letztes Geld aus dem Bancomaten um die Ecke, dankte herzlich und trug “mein” Bild vorsichtig zum Auto in der schraubenartigen Tiefgarage, legte es zum Trocknen offen in den Kofferraum und fuhr aus finanziellen Gründen einen Tag früher nach Hause als geplant. Und jedesmal, wenn ich seither umgezogen bin, hat das Bild einen Ehrenplatz bekommen, wo es mir immer wieder Kraft und Inspiration geben kann, an mich selbst und meinen freien Willen zu glauben.
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Geschrieben am Dienstag, Oktober 3rd, 2006