Dienstag, 9. Februar 2021

Wovor habt ihr am meisten Angst?

Diese Frage stellte heute meine Tochter Nathalie.

Die anschliessende Diskussion im kleinen Familienchat will ich hier nicht wiedergeben. Aber ich möchte mir ein bisschen mehr Raum nehmen, um meine eigenen Gedanken dazu auszubreiten. 

Angst ist ja kein Gefühl, sondern eine Konstruktion. Es ist das Unbehagen, das man empfindet, wenn man nicht weiss, was auf einen zukommt. Gut, dies kann auch ein angenehmes Kribbeln hervorrufen, Spannung erzeugen, nervös machen, Druck aufbauen, etc. Wenn man sich aber das grösstmögliche Unglück vor Augen hält, dann baut sich eine Angst auf, die einen leicht blockieren und unter sich begraben kann.

Die obenstehende Frage impliziert ja, dass man heute Angst haben muss. Unter diesem Blickwinkel erscheint "Mit Grundvertrauen durch die Krise zu gehen" schon fast suspekt, klingt "Es wird schon nicht so schlimm kommen" allenfalls naiv und bekommt "Ich geniesse, was es zu geniessen gibt" den Anstrich von bewusster Blindheit.

Aber sehen wir doch mal genau hin: Auch vor Corona konnte man an allem Möglichen erkranken und sterben. Unfälle können jederzeit geschehen. Einen geliebten Menschen kann man auch jederzeit verlieren. Auch dass Unternehmen aus verschiedenen Gründen bankrott gehen, ist normal. Aber keiner machte sich allzugrosse Sorgen. Vorsorgen, absichern, versichern, ja, das macht man so. Immer in der Annahme, dass man dafür eigentlich viel zu viel Geld ausgibt, weil es einen ja sowieso nie treffen wird.

Nun haben wir aber eine Häufung solcher Wahrscheinlichkeiten. Es trifft Leute, die wirklich nicht damit rechnen konnten. Und es braucht sichtbare, spürbare und für viele Menschen auch schmerzhafte Einschränkungen des täglichen Lebens, um diese Krise in den Griff zu bekommen und das Virus zu "entschärfen". Da kann einen schon mal die Angst vor diesem oder jenem Horrorszenarium packen.

Die Geschichte zeigt aber auch - ja, wenn man sie studiert hätte, wäre das Virus wohl auch hier schon besiegt - dass nach der Krise meist ein Aufschwung kommt ...

Was ich befürchte - und dies ist eher eine Beobachtung, ebenfalls geschichtlich "normal" und daher keine Angst - ist, dass sich viele Menschen nicht zu helfen wissen, sich zurückziehen und auf diese Weise krank werden oder im Gegenteil sinnloserweise ausbrechen, auf den Putz hauen oder gar durchdrehen. Wer vorher schon ein bisschen ein Spinner war, könnte nun tatsächlich gefährlich werden und so zusätzlich Menschenleben gefährden. In den sozialen Netzwerken rotten sich Gleichgesinnte zusammen und bilden ihre Denkblasen. Kooperation ist was Tolles und kann sehr stärkend sein. Wenn dies aber geschieht unter Menschen, die sich eine Parallelwelt aufbauen und dann den Ausgang nicht mehr finden, dann wird es so richtig gefährlich. Das ist es, was mir am meisten Sorgen bereitet.

Darum ist es so wichtig, diese Frage zu stellen, seine eigenen Ängste enrst zu nehmen und zu diskutieren.

Auch eine Befürchtung ist - aber hier bewegen wir uns wieder im Luxusbereich - dass die jetzt zutage kommenden notwendigen Veränderungen des Systems (Schule, Bildung für mich in erster Linie, aber auch Politik, Umweltschutz, Wirtschaft, WElthandel etc.) weiterhin von den Lobbys zurückgedrückt wrden, wo immer sie aufkeimen wollen und so keine fruchtbare und wertschöpfende Diskussion und Veränderung zustande kommt, sondern sobald es wieder möglich wird, alle einfach schnell wieder ins alte Fahrwasser zurückspringen und so weitermachen wollen, wie sie es gewohnt waren.

Und genau das wird nicht gehen. Nichts wird mehr gehen wie vorher.

Auch wenn das ein bisschen weh tut. Angst macht es mir nicht.

Das gibt Platz für Neues ... und wer diese Chance konstruktiv zu nutzen weiss, hat nichts zu befürchten.

Na ja, ausser, dass es halt trotz aller Vorsicht und Umsicht und Einhaltung von allen Sicherheitsmassnahmen irgendwie doch zuschlägt, das fiese Virus. Aber ich hoffe und vertraue darauf, dass bis dahin alle Möglichkeiten entwickelt sind, um wieder ganz gesund zu werden. 

Angst war noch nie ein guter Berater. Und man macht sie sich selbst. Oder lässt es sein und ist lieber ein bisschen naiv und geniesst mit Grundvertrauen all die schönen Dinge und Möglichkeiten, die uns bleiben oder sich jetzt erst richtig auftun!

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