Sonntag, 13. November 2011

Auf dem letzten Zacken

Ja, ich sehe Land. Ich fühle mich auch schon halbwegs wieder als Mensch und auch Rolf macht einen etwas weniger erschöpften Eindruck. Obwohl: Ich habe bis zehn Uhr geschlafen und er am Nachmittag eine Stunde und am Abend vor dem Essen nochmal eine. Aber die Vorfreude auf das nahende Ende unserer Leidenszeit beschwingt doch ziemlich.
Also: Erklärung für alle noch nicht Eingeweihten, bzw. für die Beteiligten auf der andern Seite die Kehrseite der Medaille:
Unser Haus, also das, welches wir die letzten paar Jahre bewohnt haben, brauchte dringend eine Revision, zumindest, was die Elektrizität betrifft. Ich beantragte einen Kredit, welchen ich mit Mühe noch bekam, und veranlasste die Arbeiten. Die Offerte liess ewig und zwei Tage auf sich warten. Als sie eintraf, war alles schon ganz anders: Mein Vater war gestorben, das Haus meiner Eltern, das bereits seit Weihnachten leer stand, harrte neuer Bewohner und keines meiner Geschwister wollte es übernehmen oder traute sich dies zu. Wir schon. Plötzlich setzte sich dieser Gedanke fest und damit die Frage, was nun mit der Villa Kunterbunt in Thun? Kaum gedacht, stellte sich auch schon eine Lösung ein: "Was, du willst dein Haus vermieten?", schrie meine Bloggerkollegin förmlich in die Tasten. Um dies möglich zu machen, musste die Bruchbude aber erst auf Hochglanz poliert werden. Den geeigneten Handwerker kannte ich, die Bank machte schliesslich, nun da ich Mieter und somit ein zusätzliches Einkommen bieten konnte, in begrenztem Masse mit. Also wurde das Budget erstellt, die nötigen Arbeiten geschätzt und in Auftrag gegeben. Als Win-win-Situation boten mir die neuen Mieter Mithilfe an, die mich weniger kosten sollte, als der Facharbeiter, und dieser war froh, Unterstützung zu bekommen und machte mit.
Nuuuuuur: Leider war der Hilfsarbeiter kein Mensch vom Bau und ohne jede Ahnung von Malen und körperlicher Arbeit, der andere aber doppelt, was bedeutet, ohne viel Verständnis für unqualifiziertes Arbeitsverhalten. Die zwei verstanden sich von Tag zu Tag schlechter, mich erreichten Hilferufe, es würden teure Sonderwünsche geäussert und die einfachsten Aufgaben würden nicht ausgeführt. Meine Vermittlungsversuche fruchteten nur teilweise und mein Baumensch wurde immer unmotivierter, bis er schliesslich ebenfalls anfing, unsorgfältig zu arbeiten. Während alldem war Rolf damit beschäftigt, die Zimmer im neuen Zuhause soweit zu streichen und herzurichten, dass wir wenigstens mal das Bett und meine wichtigsten Arbeitsutensilien für Schule etc. wieder benutzbar machen konnten. Dass zur gleichen Zeit, kaum dass wir hier waren, auch noch die Heizung saniert und draussen ein Zaun für den Hund montiert werden musste, wir immer noch Auto für Auto voller Kisten, Tüten und Möbel von Thun nach Bern führten und der Laden in der Münstergasse ohne grossen Umsatz in der Herbstflaute gehütet sein wollte, machte die Sache nicht besser. Sarah hütete ihre ganzen Ferien lang die Tiere im neuen Heim, damit sie sich eingewöhnen konnten, während ich mich nach dem gröbsten Umzug auch wieder der Planung des neuen Schulquartals widmen musste. Doch das Schönste sollte erst kommen. Nach weiteren drei Wochen Schmollen und Schimpfen meldete der Handwerker in Thun, er sei demnächst fertig. Der besorgte Gehilfe meldete hingegen, dies könne nicht sein, es sei ja alles noch gar nicht abgeschlossen. Rolf ging hin und kam mit einem dicken Hals und vielen Fotos wieder. Er erging sich in einer endlosen Tirade über Unfähigkeit und schlampige Arbeit, Pfusch und mangelnde Sorgfalt dem Material und den neuen Bodenbelägen gegenüber. Farbspritzer überall, nur einmal gestrichene, noch farbig durchscheinende Wände, die Decken gar nicht, der neu verlegte (teurere!) Teppich im Treppenhaus ohne Abdeckung, dem Schmutz der farbverschmierten Schuhe ausgesetzt - kurz, er übernahm und beschloss, ab nun zum Rechten zu sehen. In der Folge schlossen wir den Laden definitiv und Rolf kam Abend für Abend entnervt nach Hause und regte sich auf. Weitere unzählige Eimer Farbe schugen auf die Rechnung, während die Einnahmen sowie die Werbung für das dringend benötigte Weihnachtsgeschäft im Laden ganz ausblieb, es sei denn ich hütete am Samstag, was auch nicht mehr einbrachte. Als ich dann endlich meine Zeit fürs Putzen als gekommen erachtete, merkte ich, wie sich von Zimmer zu Zimmer meine Nackenhaare mehr sträubten, meine Magennerven zu flattern begannen und ich ertappte mich plötzlich bei einem für mich absolut atypischen "Gopferteckel nonemal!" Und die vor langer Zeit einmal laufen gelassene und leider nie geleerte Spülmaschine stank zum Himmel.
Inzwischen sind viele Gespräche vergangen, ich konnte beim Putzen aktiv meine Wut rauslassen und fand irgendwann zu meinem mir eigenen "Was soll's, es ist nun mal so, machen wir das Beste draus" zurück. Und ich freue mich auch für meine Mieter, dass sie sich so freuen und bin auch ein bisschen stolz darauf, dass wir es doch noch, mit vielen Tagen und Eimern voll Malfarbe und einer unglaublichen Putzorgie, geschafft haben werden, ihnen ein schönes Zuhause übergeben zu können. Aber ich muss ehrlich sagen: Wenn ich alles gewusst hätte, ich hätte es bleiben lassen.
Die ärgerliche Story der Villa Kunterbunt und ihre katastrophalen Auswirkungen auf meine ohnehin maroden Finanzen ist nämlich nur die eine Geschichte. Die andere ist eine ganz andere, die mein Bruder in den Worten vorausgeahnt hat: "Bist du sicher, dass du ins Elternhaus ziehen willst?" Es ist schön hier - bzw. wird, wenn wir dann endlich mal die Zeit haben, uns auch mal um unsere eigenen Wohnverhältnisse zu kümmern. Aber bis dahin wird der 6. Dezember, zu dem wir die ganze Familie hatten einladen wollen, vorbei sein und wir den Ruf, das Haus eben doch zu vernachlässigen und damit überfordert zu sein, wohl abbekommen haben. Wir werden nie mehr einfach unser eigenes Heim so gestalten können, wie wir das wollen, uns nur ein bisschen über allzu tierliebe Nachbarinnen ärgern müssen und dem Garben beim Verwildern zusehen können - nein, wir werden unter steter Beobachtung von Mutter und Geschwistern stehen, pflichtbewusst den Garten pflegen, die Farben in gemässigter Weise verteilen und uns an die knarrenden Dielen gewöhnen, bis wir sie auch nicht mehr hören.
Nun, da ich mir das alles mal von der Seele geschrieben habe, möchte ich aber nicht versäumen, zu sagen, dass ich mich freue, hier zu sein, in dem Haus, in dem ich meine Jugend zugebracht und von wo aus ich meine Lehrerausbildung genossen habe, in meiner geliebten Heimatstadt, der schönsten Stadt der Schweiz, wenn nicht Europas mit all ihren kulturellen Angeboten und meinen Schul- und Jugendfreunden und -freundinnen. Ich freue mich, wenn wir ab nächster Woche wieder für uns schauen können, wenn der Laden endlich in Schwung kommt, wenn die Weihnachtszeit beginnt, vielleicht ein bisschen Zeit übrig ist fürs Basteln oder Kekse backen, wenn ich meine eigenen vier Wände putze und die Wohnräume richtig einrichten kann, wenn zum ersten Mal Besuch kommt, wenn ich mich ans Klavier setzen oder ein Buch lesen kann, oder auch einfach, wenn das Fernsehkabel zum Vorschein gekommen ist.
Und darum sehe ich jetzt endlich wieder Land. Uff!

6 Kommentare:

  1. Ja. Ich auch. Also das mit dem Klavier jetzt MAl ausgeschlossen, da ich zwar aus dem letztem Loch zwar Pfeiffen kann, aber praktisch deine "Bierglasablage" nicht bedienen kann. Theoretisch sollte es ja kein Problem. "Mann" muss nur zur richtigen Zeit, die richtigen "Hebel" bedienen. Dann sollte es schon nicht mehr so schrecklich klingen. :)
    Müde..., ja müde. Vorallem innerlich. Ich habe wieder einmal ganz besonders bemerken "müssen", wo meine Grenzen sind. Und heute war so ein Tag.

    Ja ich bin froh, wenn alles vorbei ist. Aber nicht nur das in Thun, sondern auch das in Bern. Zwei Garagen sind bis zur Decke gefüllt und müssen auch noch versorgt werden. Mein Aufatmen wird wahrscheinlich zwischen den Weihnachtstagen

    Aber ich habe einen ganz wichtigen Energieimpuls an meiner Seite. ;-) Wenn du nicht gewesen wärst....mich abends mit absolut ausgefallenem Essen verwöhnt hättest, hätte ich schon lange das HAndtuch geschmissen. Wirklich. Danke dir also. :)

    ro

    AntwortenLöschen
  2. Ich hab Euch beide lieb.
    Und ich finde es toll, wie Ihr Eure völlig verständlichen Schwierigkeiten meistert.
    Bussi
    mo

    AntwortenLöschen
  3. Danke, liebe mo!
    ;-) Es wird schon...

    AntwortenLöschen
  4. ui, da ist ja richtig was los bei euch!
    Habtihr den Laden jetzt auch in Bern, oder noch in Thun?
    Liebe Grüße aus dem Drachennest,
    Melly

    AntwortenLöschen
  5. Liebe Dodo,

    das klingt nach richtig viel Arbeit! Ich drück dir die Daumen, dass ihr den Rest nun auch noch schafft! Ich hoffe ihr habt dennoch eine schöne Vorweihnachtszeit!

    Alles Liebe

    Laura

    AntwortenLöschen
  6. Liebe Melly
    der Laden ist in Bern und endlich wieder geöffnet! :-)
    Liebe Laura
    Arbeit ist nicht das Schlimmste, sondern die emotionale Belastung bei all den schwebenden Unsicherheiten. Wenigstens weiss ich inzwischen, dass wohl das Geld doch reichen wird...
    Danke für euer Mitlesen und Anteilnehmen.
    Herzlich
    Doris

    AntwortenLöschen