Sonntag, 26. Juli 2015

Konstruktivismus

Das ist ein Wort, das mir immer mal wieder durch den Kopf geht, aber wohl noch nie so häufig wie heute.
Zuerst einmal zur Erinnerung oder für die, welche sich noch nie so richtig damit auseinandergesetzt haben: Der Konstruktivismus geht davon aus, dass wir alle uns unsere Welt zusammenbauen aus dem, was wir wahrnehmen und wie wir es deuten. Das leuchtet ein, wenn man weiss, dass die Informationen, die in unser Hirn gelangen, alle durch einen der Sinneskanäle müssen, bevor sie überhaupt in der Schaltzentrale ankommen. Der direkteste Weg hierbei ist noch der durch das Auge, weil der Sehnerv gradewegs ins Hirn mündet, allerdings auch nicht ohne das Bild auf der Netzhaut zuerst umdrehen zu müssen, damit es "stimmt". Die Schallwellen übersetzen das Trommelfell und die dahinterliegenden Hammer und Amboss in elektronische Signale wie früher die Membrane im Telefonhörer, und wie die Empfindungen von Haut und Duft- sowie Geschmacksknospen ebenfalls zuerst in solche verwandelt werden müssen um durch die Nerven ins Hirn geleitet zu werden, kann man sich am besten vorstellen mit einem Touch-Screen.
Kurz, unsere Wahrnehmung funktioniert etwa so genau wie das gute alte Telefonspiel, bei dem ein Satz, der auf der einen Seite einer Reihe von Personen eingeflüstert und dann weitergesagt wird, auf der andern Seite meist mit völlig anderm Inhalt herauskommt.
Hinzu kommt, dass im Hirn nur das andocken kann, was schon irgendwie vorhanden oder bekannt ist. Alles wird irgendwie in bestehende Schubfächer eingeordnet um verstaden zu werden. Fehlt eine Denkkategorie oder eine entsprechende Referenzerfahrung, kippt das Hirn die ankommenden Impulse einfach als irrelevant raus. Es kann also nur sein, was sein darf, bzw. erwartet wird. Und wie das im täglichen Leben aussehen kann, ja das ist mir eben heute so richtig in die immer gleiche Kerbe gehauen worden ... wohl weil diese spätestens ab dem dritten Erlebnis so richtig auf "Empfang" war.

"Dodo, kommst du mal kurz?" Mein Göttergatte streicht gerade unsere Laube zum Garten hin. Mediterrané, da sind wir uns einig. Unten wie eine Mauer, dafür hat er extra eine Schablone gesägt, die ich vorgezeichnet habe. Doch irgendwie klappte das nicht und so strich er erst mal alles in der helleren Grundfarbe. Oben sollte diese dann noch mit Terracotta abgerieben werden, während wir unten die Steinmauer erscheinen lassen wollten.
Nun steht er auf der Leiter und hat mit Terracotta die Mauersteine durch die Schablone gepinselt. "Sieht auch gut aus", sage ich. Wohl nicht sehr überzeugend, die Irritation ist spürbar. "Aber du sagtest doch ...", fragt er verunsichert. Nach einigem Hin und Her wird klar: Wir hatten vom Gleichen gesprochen, dem Füllen der Lücken mit der dunkleren Terracottafarbe, aber seine Lücken bestanden aus den ausgeschnittenen Steinen in der Schablone, während ich längst die Schablone aus meinen Gedanken gestrichen hatte und von Hand die Fugen zwischen den dadurch hell bleibenden Steinen füllen wollte! Steine, wohlgemerkt, die es gar nicht gibt, sondern die rein optisch als soche erscheinen sollen. Ein Glück nur, dass wir beide wissen, was Konstruktivismus ist und wie er einen in die Irre führen kann.
So kann ich es auch annehmen, dass ich heute mit dem Hund gehen muss. Da ich gestern schon war ging ich davon aus, dass er jetzt an der Reihe sei. Er aber war davon ausgegangen, dass ich gehe, weil er vorgestern "meine" Runde übernommen hatte... Ich mache mich also auf den Weg in den Regen. Vielleicht wäscht der meine Gedanken rein...

... denn eine andere Begebenheit beschäftigt mich nun schon den ganzen Tag mehr als ich für möglich gehalten hätte und ist auch der eigentliche Auslöser für diesen Artikel hier. Eine Facebook-Freundin hat sich zu einem aktuellen Gewaltverbrechen geäussert. Verständlich, dass sie sich Sorgen macht, wenn in ihrer Wohngegend eine Frau vom Rad gezerrt und überfallen wurde. Unverständlich für mich, dass daran unsere Bundesrätin Schuld sein soll! Wie das? Da fehlen einige Gedankenteile, die auf dem Weg vom Auge (Lesen des Artikels) bis ins Gehirn als Trittbrettfahrer angedockt haben und Teil der Botschaft wurden. Der Täter sprach gebrochen Deutsch - aha! Ein Ausländer! Ein Automatismus tritt in Kraft: Schon wieder einer von denen! Das ist praktisch, denn dann kann man jemandem die Schuld geben. Und wer bietet sich da am besten an? Die wären alle nicht hier, wenn die Regierung für Ordnung sorgen würde. Damit steht die Botschaft: Radfarerin überfallen - Bundesrätin (sowieso in der falschen Partei) ist Schuld. Ein herrliches Konstrukt, das mich noch fast amüsieren konnte. Nur leider bestätigte und verstärkte daraufhin ihr Liebster ihre Aussagen in einer Weise, die mich allzusehr an all die Kommentare erinnerte, gegen die ich gerade einen halben Tag lang mit meinerseits Gleichgesinnten so schön gewettert hatte. Es passte einfach zu gut. Ich konnte nicht schweigen. Es musste ein zynischer Spruch raus von wegen Beschützer und differenziertem Denken und Weitblick ... und gleichzeitig zog ich mich aus dieser Unterhaltung raus, indem ich den Freunde-Button deaktivierte. Das tat irgendwie gut, vor allem, weil ich daraufhin gerade zu lesen bekam: Man sollte viel öfter einen Mutausbruch haben.
Die Kommentare auf meinen konnte ich trotzdem lesen. Auf Angriff folgt Verteidigung. Oder Gegenangriff. Na gut, Recht haben sie, hätte ich auch so gemacht. Wahrscheinlich bin ich jetzt für ne Weile untendurch. Antworten kann ich aber nicht mehr, denn ich bin ja raus. Und schon dämmerte es mir: War das wirklich so mutig, mich einfach davonzuschleichen? Als Sahnehäubchen löschte ich auch noch meinen Kommentar. Jetzt schiessen sie ins Leere und wahrscheinlich erst recht.
Aber was mich viel mehr beelendet, ist, dass auch mein eigenes Konstrukt von wahrer Wirklichkeit wunderbar gegriffen und meine Reaktionen geleitet hat. Weil ich gerade dran war, mich über Rassisten, Dummbeutel und kollektive Verblödung aufzuregen und dabei auch noch so schönes Bild- und Textmaterial zugespielt bekam, das ich fleissig weiterteilte, schlug dieser Kommentar, der mich in keinster Weise betraf, in genau diese Kerbe. Und der mit Interpretationen gespickte Kurzschluss  geschah bei mir. Innerliches Kopfschütteln begleitete mich durch den ganzen Tag und Abend.

Und während ich so pudelnass mit Hundi auf dem Heimweg vom Spaziergang vor mich hingrüble und -tropfe, und mir gerade überlege, ob wohl auch der Einbruchversuch, den wir aufgrund des plötzlich klemmenden Türschlosses kombiniert mit Timmys Gebell in der Nacht als solchen der Polizei gemeldet hatten, ein solches Konstrukt sein könnte, kommt natürlich mal wieder genau dann der Bus! Dies ist Timmys Moment: Bus tut in den Ohren weh (wahrscheinlich der Stromgenerator der Trolleybusse), auch wenn dieser hier gerade nicht, weil ein Erdgasbus, aber egal: Bellen!!! Und meine Reaktion: Oh nein, das muss nicht sein! Schnell ausweichen auf die andere Strassenseite. Und Timmys Reaktion: Aha, alles klar, dachte ich's doch, der ist gefährlich! Also bellen, was das Zeug hält!!! So stehe ich mitten auf dem Wendeplatz mit einem Hund von mindestens 45 Kilo, der sich dem Bus entgegenwirft, sodass ich ihn kaum halten mag, fühle mich von ihm persönlich blossgestellt und merke, wie meine einzige Möglichkeit ihn zu bremsen die der Gewalt ist. Packe ihn am Fell. Genau, was ich nicht machen soll, will, wollte... Shit! Und wer ist Schuld daran? Der Hund, der dumme, blöde! Immer wieder! ... Hmmm, Moment. Wäre ich auf der normalen Seite geblieben, hätte nichts dergleichen getan und ihm ruhig zugeredet, hätte er sich beruhigen können und anschliessend sein Leckerli kassiert, auf das er immer schwanzwedelnd Anspruch erhebt, wenn er das grosse rote Ungetüm lediglich demonstrativ jammernd ohne zu bellen passieren lässt.

Jaja, der Konstruktivismus. Alles eine Frage des Blickwinkels, der eigenen Erfahrungen, der Interpretation, der Gegebenheiten und Zusammenhänge, des Moments, der Verfassung, alles relativ. Alles nichts, oder? Und doch, irgendwas hat's... immer!

Donnerstag, 30. April 2015

Söiblueme - Löwenzahn

Oje, da habe ich ja schon ewig nichts mehr reingeschrieben! Facebook sei Dank, wo viel schneller viel mehr Reaktionen kommen und auch viel mehr zu lesen, zu entdecken, zu liken und Zeit zu vertrödeln ist.
Aber gerade eben packte mich die Lust, wieder mal hier sinnlos in die Tasten zu hauen. Warum? Ich bin müde. Und wenn ich müde bin, dann schwirrt mir ungefiltert Mist durchs Hirn und durch die Finger auf den Bildschirm. Und nachdem ich gerade eine entsprechende Mail verfasst habe, in der ich aus einer Sitzungseinladung mit Traktandenliste ein Streichorchester für die Unvollendete (die neunte Sitzung) umformulierte, fand ich, solchen Habakuk könnte ich eigentlich wieder mal hier deponieren. Wen interessiert's denn schon, und Facebook mit noch mehr Schwachsinn zu füttern, bringt auch nichts.
Aber im Ernst, dahinter steckt natürlich auch, dass ich wirklich gerne wieder mehr schreiben möchte. Meinen Gedanken nachhängen, Wortakrobatik betreiben, Ideen ausleben (denn wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich lese, was ich schreibe?), sozusagen aktiv nichts tun... Nun ja, nichts wirklich Sinn- und Zweckvolles. Und vielleicht ist das hier ja dann dafür doch der richtige Platz. Irgendwie.

Jedenfalls war ich mal wieder da. Es sieht aus wie in meinem Garten - nach Arbeit. Wenigstens wächst hier kein Unkraut - oder habe ich wohl gerade welches gesät? - und gibt es keine Nachbarinnen, die sich über Löwenzahn auf UNSERER Wiese (welche mal Rasen war) aufregen...


Ich wünsche euch eine gute sinnfreie Zeit mit Musse und vielen saublumen Gedanken, einem Plätzchen, wo sie hinfallen dürfen und Leute um euch herum mit Humor, die daran ihre Freude
haben...